Allgemeine Branchenrisiken

Finanzvertriebe

Die meis­ten Ver­trie­be fun­gie­ren als Han­dels­ver­tre­ter und tre­ten in der Rechts­form einer Per­so­nen­ge­sell­schaft (OHG, KG) oder Ka­pi­tal­ge­sell­schaft (AG, GmbH) am Markt auf. Im Ge­gen­satz zum an­ge­stell­ten Ver­käu­fer kann ein Han­dels­ver­tre­ter auch für meh­re­re An­bie­ter tätig wer­den (Mehr­fir­men­ver­tre­ter). Üb­li­cher­wei­se wer­den von Han­dels­ver­tre­tun­gen meh­re­re Un­ter­neh­men ver­tre­ten.

Ein Fi­nanz­ver­trieb ist eine Ver­triebs­or­ga­ni­sa­ti­on, die Kun­den, vor­wie­gend Pri­vat­ver­brau­chern, ein um­fas­sen­des (All­fi­nanz­ver­mitt­ler) An­ge­bot an Fi­nanz­pro­duk­ten wie Ver­si­che­run­gen, Ver­mö­gens­an­la­gen und Fi­nan­zie­run­gen über­wie­gend an­de­rer Fi­nanz­dienst­leis­ter (meist Ban­ken und Ver­si­che­rern) ver­mit­telt. In­so­fern sind Fi­nanz­ver­trie­be zwar An­sprech­part­ner, nicht aber Ver­trags­part­ner der ver­mit­tel­ten Ge­schäf­te. Der Kunde zahlt kein Ho­no­rar für die Be­ra­tung an sich, son­dern der Fi­nanz­ver­trieb er­hält Pro­vi­sio­nen und/oder Cour­ta­gen für jedes ver­mit­tel­te Ge­schäft. Die Pro­vi­sio­nen und Cour­ta­gen sind in der Prä­mie des ver­mit­tel­ten Pro­duk­tes be­reits ent­hal­ten.

Die Kun­den­ge­win­nung bei Fi­nanz­ver­trie­ben ist we­sent­lich durch die Or­ga­ni­sa­ti­ons­form und die Ziel­grup­pe ge­prägt. Struk­tur­ver­trie­be nut­zen vor­wie­gend Kon­tak­te im pri­va­ten Um­feld, am Ar­beits­platz oder an Hoch­schu­len. Neue­re Fi­nanz­ver­trie­be er­rei­chen ihre Kun­den­kon­tak­te durch ge­ziel­te Wer­bung meist im In­ter­net. Die meis­ten Fi­nanz­ver­trie­be bin­den ihr Ver­triebs­per­so­nal in Form von selb­ststän­di­gen Han­dels­ver­tre­tern nach §84 HGB an sich.

Bei Fi­nanz­ver­trie­ben neue­rer Art sind seit Mitte der 90er Jahre auch an­de­re Struk­tu­ren als das Han­dels­ver­tre­ter­mo­dell ver­tre­ten. So han­delt es sich bei dem Ver­triebs­per­so­nal teil­wei­se um so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge An­ge­stell­te. Oder die Ver­triebs­mit­ar­bei­ter sind mit selb­ststän­di­gen Fi­nanz­mak­lern nach §93 HGB über einen Fran­chise­ver­trag mit dem Fi­nanz­ver­trieb ver­bun­den, wobei auch hier wie beim Han­dels­ver­tre­ter­mo­dell das un­ter­neh­me­ri­sche Ri­si­ko beim Ver­mitt­ler liegt.

Für die Ver­mitt­lung von Fi­nanz­pro­duk­ten war bis zum In­kraft­tre­ten der Eu­ro­päi­schen Ver­mitt­ler­richt­li­nie (22. Mai 2007) kei­ner­lei Fach­qua­li­fi­ka­ti­on er­for­der­lich. Für die Ver­mitt­lung von Ver­si­che­rungs­ver­trä­gen gilt seit­dem: So­fern keine Pa­tro­nats­er­klä­rung eines Ver­si­che­rers ge­ge­ben wird, für den der Ver­mitt­ler im Rah­men der Aus­schlie­ß­lich­keit tätig ist, muss seit dem 1. Ja­nu­ar 2009 jeder freie Ver­mitt­ler eine Ein­tra­gung im Ver­mitt­ler­re­gis­ter vor­wei­sen. Für die Re­gis­trie­rung im Ver­mitt­ler­re­gis­ter ist eine be­hörd­li­che Ge­neh­mi­gung gemäß §34 GewO er­for­der­lich. Diese er­hält der Ver­mitt­ler je­doch nur durch den Nach­weis einer Sach­kun­de­prü­fung, die seit 2008 von der ört­li­chen IHK ab­ge­nom­men wird.

Hin­sicht­lich an­de­rer Fi­nanz­pro­duk­te – wie etwa Ka­pi­tal­an­la­gen – ist ein Sach­kun­de­nach­weis wei­ter­hin nicht er­for­der­lich. Der Bun­des­ge­richts­hof hat al­ler­dings ent­schie­den, dass ein An­la­ge­ver­mitt­ler ver­pflich­tet ist, dar­über auf­zu­klä­ren, dass er keine Aus­bil­dung im Fi­nanz­dienst­leis­tungs­sek­tor be­sit­ze und man­gels Fach­kennt­nis das An­la­ge­kon­zept selbst nicht durch­schaut.

An­la­ge­ver­mitt­ler müs­sen ihren Kun­den Scha­den­er­satz leis­ten, wenn sie Wert­pa­pie­re mit einer falsch be­rech­ne­ten Ren­di­te ver­kau­fen. Auch wenn es der Be­ra­ter un­ter­lässt, An­le­ger auf of­fen­sicht­li­che Be­rech­nungs­feh­ler des Fonds­an­bie­ters hin­zu­wei­sen, ist er in der Haf­tung. Das hat der Bun­des­ge­richts­hof in einem Grund­satz­ur­teil am 17. Fe­bru­ar 2011 ent­schie­den (Ak­ten­zei­chen: III ZR 144/10).

Checkliste

→ Hat der Ver­mitt­ler eine nach­weis­ba­re fi­nanz­wirt­schaft­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on?

→ Haben alle am Ge­schäft Be­tei­lig­ten – Ver­mitt­ler, Ver­triebs­or­ga­ni­sa­ti­on und Pro­dukt­an­bie­ter – ihren Haupt­sitz im sel­ben Land?

→ Wird die Funk­ti­ons­wei­se der Ka­pi­tal­an­la­ge in ver­ständ­li­chen und kla­ren Wor­ten er­läu­tert? Kann man diese de­tail­liert nach­voll­zie­hen?

→ Wer­den die Ri­si­ken ein­deu­tig be­nannt, und wird die Aus­fall­wahr­schein­lich­keit be­zif­fert?

→ Wird das Ri­si­ko von De­vi­sen­kurs­schwan­kun­gen ver­ständ­lich er­läu­tert, wenn Er­trags- oder Fi­nan­zie­rungs­be­stand­tei­le in Fremd­wäh­run­gen vor­han­den sind?

→ Wer­den die ex­ter­nen und in­ter­nen Ne­ben­kos­ten für Ab­schluss und lau­fen­de Ver­wal­tung auf­ge­schlüs­selt?

→ Wer­den die Vor­ga­ben des Kun­den in Bezug auf Ver­füg­bar­keit/Kün­di­gungs­fris­ten und Ri­si­ko in vol­lem Um­fang be­rück­sich­tigt?

→ Bie­tet der Ver­mitt­ler bei hohem Si­cher­heits­be­dürf­nis un­pro­ble­ma­ti­sche An­la­ge­gat­tun­gen wie Ta­ges- und Fest­geld­kon­ten, Ra­ten­spar­plä­ne oder Spar­brie­fe an? Oder setzt er vor­nehm­lich auf Ge­schlos­se­ne Fonds mit un­ter­neh­me­ri­schem Ver­lust­ri­si­ko, wenig staat­li­cher Kon­trol­le, Kos­ten­in­trans­pa­renz und hohen Ver­triebs­pro­vi­sio­nen? Oder, was ge­nau­so ris­kant ist, auf An­la­ge­zer­ti­fi­ka­te, die am Tropf der An­la­ge­ent­wick­lung hän­gen und kei­nen rück­zahl­ba­ren Kre­dit wie ein Bun­des­wert­pa­pier dar­stel­len? Oder auf fonds­ge­bun­de­ne Ver­si­che­run­gen, die kei­nen Ga­ran­tie­zins bie­ten wie nor­ma­le Ver­si­che­run­gen? Oder bie­tet er gar au­ßer­börs­li­che Ak­ti­en, Ge­nuss­schei­ne oder An­lei­hen mit hohem To­tal­ver­lust­ri­si­ko an? Der Gip­fel der Un­se­rio­si­tät wären De­ri­va­te wie Op­ti­ons­schei­ne und Ter­min­ge­schäf­te, mit denen man gegen den Markt wet­tet und nicht bes­ser ge­stellt ist als ein Lot­to­spie­ler.

Gefahren

Tür­öff­ner-Trick: Klin­gelt ein Ver­mitt­ler un­ge­be­ten an der Tür, wird man ihn nicht her­ein­las­sen, wenn er die Wahr­heit sagt: „Guten Tag, ich möch­te Ihnen eine Geld­an­la­ge mit hohen Ne­ben­kos­ten ver­kau­fen“. Des­halb wird er eine „kos­ten­lo­se Ren­ten­be­ra­tung“ oder eine „ob­jek­ti­ve Fi­nanz­ana­ly­se“ an­bie­ten und be­haup­ten, einer aus der Nach­bar­schaft sei ein hoch­zu­frie­de­ner Kunde von ihm.

Ter­min-Trick: Ob­wohl man ab­ge­lehnt hat, stimmt man schlie­ß­lich doch einem Be­such zu. Keine Zeit? „Kein Pro­blem, wäre Ihnen dann Diens­tag- oder Don­ners­tag­abend lie­ber?“ Kein In­ter­es­se? „Sie soll­ten doch erst ein­mal er­fah­ren, um wel­ches Pro­dukt es sich über­haupt han­delt.“ Kein Geld? „Dann ist es aber höchs­te Zeit, mit dem Ver­mö­gens­auf­bau zu be­gin­nen.“

Kom­pli­men­te-Trick: Am Wohn­zim­mer­tisch geht es nicht gleich zur Sache. Erst wird der si­che­re Ge­schmack des künf­ti­gen Kun­den bei der In­nen­ein­rich­tung be­wun­dert. Dann wer­den die guten Ma­nie­ren der klei­nen Toch­ter ge­lobt. Und vie­les mehr an Honig. Der Kunde fühlt sich be­stä­tigt, wird ein­ge­lullt und un­ter­schreibt blind­lings.

Um­schrei­bungs-Trick: Um vom hoch­ris­kan­ten In­halt ab­zu­len­ken, nennt man die zu ver­kau­fen­den Fi­nanz­pro­duk­te nicht beim ech­ten Namen. Aus An­la­ge­zer­ti­fi­ka­ten wer­den „Schatz­brie­fe“, die aber mit si­che­ren Bun­des­an­lei­hen gar nichts zu tun haben. Aus der pri­va­ten Ren­ten­ver­si­che­rung ohne Hin­ter­blie­be­nen­schutz wird ein „Ren­ten-Sorg­los-Pa­ket“. Oder der auf­schlag­teu­re Dach­fonds wird zum „Ren­di­te-In­vest­ment-Plan“.

Der Zah­len-Trick: Wenn es um die Kos­ten geht, kön­nen die Zah­len gar nicht klein genug ge­häck­selt wer­den. Ein Bei­trag von 9,90 mo­nat­lich wirkt op­tisch bil­li­ger als 118,80 Euro pro Jahr. Eine Kfz-Ver­si­che­rung für nur 1,99 Euro pro Tag er­gibt den­noch eine Jah­res­prä­mie von 726,35 Euro. Um­ge­kehrt hilft man Mi­ni-Ren­di­ten bei Spar­ver­trä­gen und Ka­pi­tal­an­la­gen auf die Sprün­ge, wenn man sie mit Zin­ses­zins auf 30 Jahre hoch­rech­net. So ver­drei­facht man 10.000 Euro in 30 Jah­ren bei 4 Pro­zent.

Fremd­wör­ter-Trick: In Pro­spek­ten und im Ver­kaufs­ge­spräch wim­melt es oft von Fremd­wör­tern wie Per­for­mance, Se­cu­ri­ties oder Top-down-Stra­te­gie. Das soll ver­wir­ren und be­ein­dru­cken. Der Kunde gibt nur un­gern seine Un­kennt­nis zu und läuft in die Falle.

Zeit­druck-Trick: Un­se­riö­se Ver­trieb­ler wol­len ver­hin­dern, dass der Kunde Zeit hat, die Un­ter­la­gen ei­ni­ge Tage lang kri­tisch zu prü­fen. Sie bauen Druck auf, be­haup­ten, der Ab­schluss sei nur noch heute mög­lich. Im Fall einer Steu­er­spar-Im­mo­bi­lie müsse man gleich zum Notar fah­ren, sonst sei die Woh­nung weg. Wer Druck auf­baut, hat etwas zu ver­ber­gen.

Ge­heim­tipp-Trick: Be­liebt ist die Ma­sche eines Ge­heim­tipps mit der Chan­ce auf Traum­ren­di­ten. Auf den heu­ti­gen welt­wei­ten Ka­pi­tal­märk­ten, wo Nach­rich­ten in Se­kun­den die Runde ma­chen, exis­tiert ver­bor­ge­nes Wis­sen prak­tisch nicht. Es sei denn, es han­delt sich um ver­trau­li­che In­si­der-In­for­ma­tio­nen von Ma­na­gern der be­tref­fen­den Ak­ti­en­ge­sell­schaft. Deren Nut­zung für ge­winn­brin­gen­de Bör­sen­ge­schäf­te ist al­ler­dings straf­bar!

Lai­en-Ver­mitt­ler: Be­wusst fach­frem­de Kun­den wer­den von Ver­trie­ben ne­ben­be­ruf­lich als Lai­en-Ver­mitt­ler an­ge­heu­ert, um die Pro­duk­te auch Freun­den, Be­kann­ten und Ver­wand­ten schmack­haft zu ma­chen. Sie sind arg­los und be­geis­tert und er­ken­nen die Fall­stri­cke der Of­fer­ten nicht. Wenn der Schwin­del auf­fliegt, zäh­len alle zu den Ge­schä­dig­ten.

Aus der Pres­se

Die spek­ta­ku­lärs­ten Fälle von Ab­zo­cke
Mil­li­ar­den­ver­lus­te durch Phan­tom­boh­rer oder die Ver­schleie­rung von lan­gen Lauf­zei­ten – die Be­trugs­lis­te ist eben­so lang wie der Scha­den bei den An­le­gern hoch. Wel­che Fir­men Tau­sen­de von Ak­tio­nä­ren und Kun­den schä­dig­ten…


»Bru­tal viel Geld ver­die­nen«
Wie große Fi­nanz­ver­trie­be junge Men­schen als Ver­tre­ter kö­dern – und sie manch­mal nicht mehr gehen las­sen…


Zu Tode ver­wal­tet
Über Sil­ves­ter ver­fal­len An­sprü­che von An­le­gern in drei­stel­li­ger Mil­li­ar­den­hö­he. Fi­nanz­fir­men ver­su­chen des­halb, Zeit zu schin­den.